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Betriebliches Gesundheitsmanagement: Woran hapert es?


26. Februar 2024, 8 Minuten Lesezeit

 

 

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM): Immer mehr Betriebe bieten Maßnahmen zur Gesundheitsförderung an. Doch woran kann es liegen, wenn gutgemeinte Ansätze wirkungslos verpuffen?

Eine neue Studie liefert Empfehlungen, wie Unternehmen die Möglichkeiten des BGM besser ausschöpfen.

 

Basis der Untersuchung ist eine 2021 gestartete, groß angelegte Befragung von Betriebs- und Personalräten. Mehr als 3.700 Beschäftigtenvertretungen haben sich beteiligt. Forscher vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung haben die Antworten ausgewertet und im Oktober 2023 einen Abschlussbericht vorgelegt.

 

Wandel der Arbeitswelt

Die Studie unterstreicht, dass sich die Arbeitswelt im Wandel befindet. Das ist keine neue Erkenntnis. Immer wieder müssen Arbeitsmethoden und Arbeitsorganisation auf technische Entwicklungen bei Arbeitsmitteln und Produktionsverfahren, gesellschaftliche Trends oder neue gesetzliche Vorgaben reagieren. Als kennzeichnend für die aktuellen – durch die Coronapandemie wie auch Digitalisierung getriggerten – Veränderungen gelten:

 

  • die Zunahme von orts- und zeitflexiblen Arbeitsformen

  • alternde Belegschaften aufgrund des demografischen Wandels

  • Arbeitskräfte-Engpässe durch dünne Personaldecken und Fachkräftemangel

  • Laut der WSI-Studie standen in der Arbeit von Betriebs- und Personalräten zudem die Themen Überstunden, Arbeitsintensivierung sowie Zeit- und Leistungsdruck weit oben auf der Tagesordnung. Dazu kommen die Folgen der Coronakrise für betriebliche Abläufe und damit zusammenhängend die vielen Fragen zu mobiler Arbeit und Homeoffice. Die Studie des WSI zeigt, wie Instrumente der Betrieblichen Gesundheitsförderung dabei unterstützen können, diese vielfältigen Herausforderungen zu bewältigen.

 

Erkennbare Fortschritte

Die gute Nachricht lautet: Immer mehr der befragten Betriebe machen Gefährdungsbeurteilungen. Die sogenannte Durchführungsquote ist laut den WSI-Erhebungen deutlich gestiegen. Erfreulich zu lesen ist auch, dass viele Betriebsleitungen und Interessenvertretungen sich zuletzt intensiv mit Gesundheitsthemen befasst haben. Das liegt auch daran, dass der betriebliche Arbeitsschutz durch die Corona-Pandemie in vielen Betrieben stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist.

 

Dieser Trend zeigt sich auch bei der Gesundheitsförderung. Knapp drei Viertel der befragten Betriebe haben 2021 BGF-Maßnahmen angeboten, 2015 war dies erst bei jedem zweiten Unternehmen der Fall. Dabei ist ein deutlicher Größeneffekt zu beobachten. Je mehr Beschäftigte ein Betrieb hat, desto eher gibt es BGF-Maßnahmen. Bei weniger als 50 Beschäftigten sind es knapp 6 von 10 Betrieben, bei mehr als 500 Beschäftigten dagegen mehr als 8 von 10. Die gleiche Tendenz zeigt sich beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) (siehe Grafik).

 

 

Zu bedenken ist bei dieser positiven Entwicklung jedoch, dass in der aktuellen Studie nur Betriebe mit Interessenvertretungen erfasst wurden. In Unternehmen oder Einrichtungen ohne Betriebs- oder Personalrat dürfte das Engagement für den Gesundheitsschutz – so sieht es auch das WSI – geringer ausfallen. Denn dass ein BGM die Basis für eine langfristige Gesundheitsprävention legt und damit eine große Chance darstellt, Fachkräfte zu halten und Fehlzeiten zu senken, wird noch längst nicht in allen Betrieben begriffen.

 

Grenzen und Hemmnisse im betrieblichen Gesundheitsmanagement

Im betrieblichen Gesundheitsschutz fehlt es eher selten an Geld, dafür umso öfter an Zeit und an Personal – auch dies wird in der Studie deutlich. Es hapert bereits bei den Gefährdungsbeurteilungen, als typische und häufige Knackpunkte werden genannt:

 

  • Mangelnde Konsequenz: Gefährdungsbeurteilungen werden „nur halbherzig und bürokratisch abgearbeitet“, haben aber keine oder zu geringe Folgen.

  • Kein Umsetzen: Konkrete Schritte zu tatsächlichen Verbesserungen bleiben aus.

  • Fehlende Partizipation: Beschäftigte werden in Gefährdungsbeurteilungen zu wenig eingebunden, es fehlen konkrete Beteiligungsmöglichkeiten.

  • Wissensmängel: Fehlendes Fachwissen und die Komplexität der gesetzlichen Auflagen wirken hemmend.

  • Unvollständigkeit: Insbesondere psychische Belastungen werden häufig nur oberflächlich oder gar nicht erfasst.

  • Gerade beim letzten Punkt sollten Sicherheitsbeauftragte wachsam bleiben und gegebenenfalls nachhaken. Das Erfassen psychischer Belastungen in den Gefährdungsbeurteilungen hat sich zwar insgesamt verbessert, ist aber noch immer keine Selbstverständlichkeit in Betrieben und Unternehmen.

 

Es müssen Taten folgen

Schlechte Arbeitsbedingungen stellen ein erhebliches Risiko für Körper und Psyche dar. Gefährdungsbeurteilungen sollen dies aufdecken und Gegenmaßnahmen finden. Soweit die Theorie. Die Studie bemängelt, dass in der Praxis der Prozess der Gefährdungsbeurteilung oft auf halbem Weg steckenbleibt,

 

Das kann an den oben genannten Gründen liegen oder daran, dass Verantwortliche und Entscheider vor nachhaltigen Änderungen zurückschrecken. In weniger als jedem dritten Betrieb beziehungsweise jeder dritten Dienststelle wurden aus den Gefährdungsbeurteilungen abgeleitete Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt.

 

Doch wenn auf Gefährdungsbeurteilungen keine Taten folgen, bleiben auch die Möglichkeiten eines BGM begrenzt – mit erheblichen Nachwirkungen. Denn wo die konkreten Befunde nicht konsequent Handlungsschritte auslösen, um krankmachende Arbeitsbedingungen zu verändern, werden Beschäftigte keine betrieblichen Verbesserungen wahrnehmen. Damit entsteht der Eindruck, dass ein BGF oder BGM letztlich nichts bringt. Die Akzeptanz für Maßnahmen sinkt, ebenso die Bereitschaft für Veränderungen – ein Teufelskreis!

 

 

Betriebliches Gesundheitsmanagement ist kein Selbstläufer

Es genügt nicht, Konzepte zur Förderung von Gesundheit und gesunden Arbeitsbedingungen zu kennen und anzukündigen. Schritte müssen umgesetzt und evaluiert, Ansätze überdacht und immer wieder neu gestartet werden. Denn es ist abzusehen, dass uns viele der aktuellen Fragen weiterhin beschäftigen werden, zum Beispiel

 

  • die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Konzepte für flexible und vereinbarkeitsfreundliche Arbeitszeiten

  • der Schutz vor psychischer und physischer Überlastung durch angemessene Arbeitszeitregelungen und Pausengestaltungen

  • alternsfreundliche Arbeitsplätze, an denen die Arbeitsbedingungen an die Bedürfnisse älterer Beschäftigter angepasst sind.

  • Konsequente Wiedereingliederung

  • Auch die betriebliche Wiedereingliederung muss konsequent verfolgt werden. Chronisch erkrankte oder verunfallte Kolleginnen und Kollegen, die arbeitsfähig und motiviert sind, dürfen nicht ausgegliedert werden. Hier sind alle Maßnahmen zu prüfen, die einen Einsatz entsprechend den individuellen Fähigkeiten ermöglichen. Das ist eine Win-Win-Situation, auch angesichts des in immer mehr Branchen spürbaren Personal- und Fachkräftemangels.

 

Nicht wenige der aktuellen Entwicklungen in Politik und Gesellschaft sind besorgniserregend. Auch die digitalisierte, automatisierte, vernetzte und künstlich intelligente Arbeitswelt 4.0 kann bedrohlich wirken und hat ihre Tücken. Doch in jedem Wandel entsteht auch Neues und Veränderungen bieten stets auch Chancen. Betriebe, die diese Chancen erkennen und nutzen mit dem Ziel gesunder, alternsgerechter und familienfreundlicher Arbeitsbedingungen, sind für die Zukunft gerüstet.

 

Quelle: Autor: Dr. Friedhelm Kring, freier Journalist, Redakteur und Referent, https://kring.de/

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